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Wild­grün-Üer­le­bens­ver­su­che

im Mühl­vier­tel

An­fang der 1990­er-Jah­re ent­schloſs ich mich, die Be­haup­tun­gen ei­nes (mei­ne Auf­merk­sam­keit er­regt ha­ben­den) ve­ga­ne Roh­kost mis­sio­na­risch pro­pa­gie­ren­den Buch­au­tors, man kön­ne in der Na­tur kei­nes­falls ver­hun­gern, auf die Pro­be zu stel­len. Als Vor­be­rei­tung hier­zu hat­te ich mich zu ei­nem sei­ner in Rohr­bach des öster­rei­chi­schen Müh­len­vier­tels statt­fin­den­den Se­mi­na­re an­ge­mel­det und fünf Ta­ge vor Ter­min­be­ginn −es war Früh­som­mer− da­mit be­gon­nen, mich von aus­schließ­lich drau­ßen zu er­näh­ren.
        An den er­sten bei­den Ta­gen ge­schah dies na­he Stutt­gart und mit nur äu­ßerst ge­ring­fü­gi­ger Eſs­lust. Am drit­ten Tag rei­ste ich dann per Bahn nach Pas­sau und wan­der­te an­schlie­ßend zu Fuß 14 km weit donau-auf­wärts nach Obern­zell.

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Rohrkolben
Un­ter­wegs ko­ste­te und aß ich von ei­ni­gen vor­ge­fun­de­nen ge­wöhn­li­chen Wild­kraut-Ar­ten, wo­bei sie mir nun in dop­pelt so gro­ßen Ver­zehr­men­gen mun­de­ten als noch zu­hau­se. Nach­dem sie mir dann aber doch noch ge­schmack­lich sehr über­drüs­sig ge­wor­den wa­ren, mach­te ich mich an die dau­men­dic̓­ken Hal­me ei­nes ober­halb des Donau-Ufers in sump­fi­gem Gra­ben wach­sen­den Schilf­ge­wäch­ses: Rohr­kol­ben.
        Der er­ste Stän­gel mun­de­te mir ganz über­ra­schend der­ma­ßen äu­ßerst lec̓­ker, daſs ich mich dar­über wun­der­te, war­um die­ses Ge­wächs nicht als Fein­kost­ge­mü­se ver­kauft wird. Beim zwei­ten Stän­gel ließ die Ge­schacks­emp­fin­dung al­ler­dings sehr nach, so­daſs er am En­de nach fast nichts mehr schmeck­te. Und der drit­te lie­fer­te mir end­gül­tig die Er­klä­rung, war­um die­se Sumpf­pflan­ze un­mög­lich ein Best­sel­ler sein konn­te. Denn die­sen letz­ten emp­fand ich nach der Hälf­te des Ver­zehrs als der­maßen scheuß­lich gif­tig schmec̓­kend, daſs ich den letz­ten Bis­sen in ho­hem Bo­gen wie­der aus­spuck­te und die an­de­re Hälf­te üb­rig ließ.

Dies war mein bis da­hin ein­drucks­voll­stes Er­leb­nis mit dem Er­näh­rungs-In­stinkt, der jeg­li­che vor­find­ba­re (Wild­nis)­Nah­rung nun lei­der na­he­zu voll­stän­dig ver­wei­ger­te, was mit mei­nem viel zu um­fang­rei­chen (schät­zungs­wei­se über 20 Kg wie­gen­den) Ge­päck im som­mer­lich hei­ßen Obern­zell zu hef­ti­ger Un­ter­ener­ge­ti­sie­rung führ­te und mir die Fra­ge stell­te, ob die­se ge­schmacks-in­stink­tiv be­ding­te Eſs-Un­lust auf
be­ruht.
        In­fol­ge der (hef­ti­gen) Un­ter­ener­ge­ti­sie­rung (und mit dem knapp ¼ Zent­ner wie­gen­den Ge­päck) war das pünkt­li­che Er­rei­chen des Se­mi­nars zu Fuß nun sehr un­wahr­schein­lich ge­wor­den, wes­we­gen ich kur­zer­hand mit öf­fent­li­chem Ver­kehrs­mit­tel wei­ter­rei­ste bis zum Ziel­ort, dort zwei Ta­ge frü­her an­kam und den vor­be­rei­ten­den Wild­nis­ver­pfle­gungs­ver­such schlicht oh­ne Gepäck fort­setz­te.

Weil es nach Se­mi­nar­be­ginn sich al­ler­dings (mich sehr ent­täu­schend) her­aus­stel­te, daſs
ent­hielt ich mich wäh­rend der er­sten bei­den Se­mi­nar­ta­ge der Kü­chen­roh­kost, be­gab mich −weil mein Ge­schmacks-In­stinkt un­ter­des­sen we­sent­lich grö­ße­re Ver­zehr­men­gen als just zu­vor er­laub­te− statt­des­sen je­des­mal auf die Wie­se vorm Haus, fut­ter­te (ge­mäß sei­ner ver­faſs­ten Li­te­ra­tur) als Haupt­spei­se aus­schließ­lich ur­be­las­se­ne Wild­kräu­ter (Lö­wen­zahn, Breit­we­ge­rich, Spitz­we­ge­rich, Bach­kres­se, Fett­hen­ne und Lin­den­blät­ter), und als Nach­spei­se noch (eben­falls auf Emp­feh­lung sei­ner sei­ner ver­faſs­ten Li­te­ra­tur) ei­ni­ge we­ni­ge Weg­Amei­sen, was im­mer wie­der die selt­sam er­staun­ten Blic̓­ke des (mit der­art wört­lich ge­nom­me­ner Ur­ver­pfle­gung wohl kaum ge­rech­net ha­ben­den) Se­mi­nar­lei­ters auf mich hin­zog.
        Sind sei­ne eif­ri­gen Rat­schlä­ge also doch nicht so eif­rig ge­meint???


Übern Schwarz­wald

19­95 hat­te ich als Ur­laubs­ziel ei­nen Ort na­he des fran­zö­si­schen Val de Sei­ne aus­ge­sucht um in ei­nem dor­ti­gen Zen­trum für In­stink­ti­ve Roh­er­näh­rung die von mir mög­li­cher­wei­se über­se­he­nen Ein­zel­hei­ten des Er­näh­rungs-In­stinkts ken­nen­zu­ler­nen an­hand ei­nes brei­ten (kul­ti­vier­ten und im­por­tier­ten) Nahrungs­aus­wahls­an­ge­bots. (Mit­tel­eu­ro­pä­i­sches) Wild­ge­mü­se war dort zum da­ma­li­gen Zeit­punkt zwar nicht mit­be­rück­sich­tigt, aber der in Rohr­bach re­fe­riert ha­ben­de Lei­ter war von dem Zent­trum zu ei­nem Gast­se­mi­nar ein­ge­la­den wor­den, von dem ich er­wog, ihm zu­sätz­lich (und dies­mal mit gründ­li­che­rer Er­fah­rung als vor­her) noch­mals bei­zu­woh­nen. Dies (und weit­er­hin die Ab­sicht, mei­ne Er­näh­rungs­ko­sten we­sent­lich ein­zu­däm­men) bewog mich da­zu, auf der Hin­hei­se mich er­neut von aus­schließ­lich drau­ßen zu er­näh­ren und da­bei ein mög­lichst gro­ßes Stück der Reise­strec̓­ke zu Fuß zü­ruck­zu­le­gen.
         Die­sen wei­te­ren Vor­be­rei­tungs­ver­such füh­rte ich ei­nen hal­ben Tag län­ger durch als den vor­aus­ge­gan­ge­nen und un­ter­brach ihn am vier­ten Tag mit zwei ge­schenkt er­hal­te­nen Äp­feln. Der Weg ver­lief zu­nächst durchs würt­tem­ber­gi­sche Gäu (zw· Stutt­gart und Freu­den­stadt). Wie­der hielt ich mich zu­nächst knapp zwei Ta­ge lang an mei­nem Wohn­ort (bei Stutt­gart) auf, wo ich über den Tag ver­teilt schät­zungs­wei­se ein- bis zwei­hun­dert Gramm wil­des Grün­ge­mü­se ge­nie­ßen konn­te. Am Nach­mit­tag des zwei­ten Ta­ges be­gann ich mit der Wan­de­rung: Dies­mal (we­gen fremd­spra­chi­gem Ziel, viel län­ge­rer Rei­se­strec̓­ke, ver­mu­ten­tem Dau­er­re­gen­wet­ter und vier­wö­chi­gem Frank­reich­auf­ent­halt) mit noch mehr (zu­viel!) Ge­päck, wel­ches glaub˙ ich er­heb­lich mehr als 20 Kg wog (Schlaf­sack, Re­gen­pla­ne, Re­gen­kom­bi, Be­klei­dung, 1 Li­ter Was­ser, Fremd­spra­chen­bü­cher, Gift­pflan­zen­bü­cher). Dank tat­säch­lich statt­ge­fun­den ha­ben­dem Lang­zeit­re­gen (was das Ge­wicht mei­nes Ge­päcks we­gen der am Kör­per ge­tra­ge­nen Klei­dung er­heb­lich ver­rin­ger­te) schaff­te ich es da­mit im­mer­hin 130 Km weit bis nach Lahr (am West­rand des Mit­tel­schwarz­walds).

Erst in den Hö­hen des Schwarz­wal­des −am drit­ten Ver­pfle­gungs­tag− mun­de­te mir (ne­ben Lö­wen­zahn, Breit­we­ge­rich, Spitz­we­ge­rich und wil­dem Schnitt­lauch,) vor al­lem Sau­er­amp­fer er­staun­lich gut. Letzt­ge­nann­te Pflan­ze kann­te ich bis da­hin nur als furcht­bar sau­er un­ge­nieß­ba­res Kraut. Aber auf der Schwarz­wald-Durch­wan­de­rung emp­fand ich die säu­er­li­che Ge­schmacks­no­te des Amp­fers eher als er­fri­schend mit ei­nem ziem­lich an­ge­nehm süß­li­chen Ne­ben­ge­schmack, was si­cher­lich an der (er­näh­rungs­in­stinkt-ge­steu­ert) nur sehr ver­min­dert mög­lich ge­we­se­nen Nah­rungs­Auf­nah­me bin­nen der vor­aus­ge­gan­gen vier Ta­ge lag.
Zwar hät­te ich (wie „Sir Viv­al”) die ins Lä­sti­ge um­ge­schwenk­ten Ge­schmacks­emp­fin­dun­gen durch­aus mit reich­lich ent­ge­gen­ge­setz­ter Wil­lens­kraft miſs­ach­ten kön­nen. Aber dies ist ge­wiſs nicht im Sin­ne des Kȯr­per-Or­ga­nis­mus. Denn sol­cher­lei hat sich mir stets als ziem­lich un­ge­sund er­wie­sen: bei Zu­be­rei­te­tem lang­fristig und bei Ur­be­las­se­nem kurz­fri­stig. Drei Da­tei­en wei­ter ha­be ich dies hin­sicht­lich Ur­be­las­se­nem nä­her ge­schil­dert.

Nach­dem der Sau­er­amp­fer nach vie­len Hand­voll mir nach und nach wie­der zu sau­er­schmec̓­kend ge­wor­den war, ließ ich ihn so­mit kur­zer­hand wie­der ste­hen und zog (trotz des mir mitt­ler­wei­le fast zu schwer ge­wor­de­nen Ge­päcks) wei­ter.
        Auch dies­mal war mei­ne au­ßer­ger­wöhn­li­che Mahl­zeit arg­wöh­nisch be­ob­ach­tet wor­den. Denn kei­ne fünf Mi­nu­ten spä­ter fuhr auf­fal­lend lang­sam ein PKW an mir vor­bei und kam 50 Me­ter vor mir auf ei­ner Park­bucht zum ste­hen. Als ich im Be­griff war, dar­an vor­zu­ge­hen, frag­te mich der ganz in der Nä­he woh­nen­de Fah­rer, ob ich denn noch Dĵob und Woh­nung ha­be.
        Ob­wohl ich die­se Fra­gen gu­ten Ge­wis­sens be­ja­te, bot er mir zwei be­leg­te Bröt­chen an, wor­auf ich ihn dar­über auf­klär­te, daſs ich aus Fit­neſs­grün­den seit ei­ni­gen Jah­ren kaum noch Zu­be­rei­te­tes es­se, es auch nicht mehr be­ab­sich­ti­ge und mei­ne von ihm be­ob­ach­te­te Wild­nis-Ver­pfle­gungs­wei­se le­dig­lich ein fi­nan­zi­el­ler Ein­spar­ver­such und ei­ne Ur­laubs-Übung ist.
        Weil dar­über er­staunt ihm dies reich­lich un­ge­wöhn­lich er­schien und wir uns noch eine Wei­le lang mit­ein­an­der un­ter­hiel­ten, ei­nig­ten wir uns schließ­lich auf zwei Äp­fel, die ich ger­ne an­nahm und mir (we­gen be­reits vier­tä­gig aus­schließ­li­cher Wild­grün­kost) weit­aus bes­ser, sü­ßer so­wie ge­schmacks­vol­ler mun­de­ten, als dies ge­wöhn­lich bei Äp­feln da­mals der Fall war.

ganz besonders kräftig (urwald-tief) grün schimmernder Wald Auf ei­ner Hoch­ebe­ne bei Freu­den­stadt be­gann es hef­tig zu reg­nen und der hier­bei ei­gen­ar­tig ver­än­der­te grü­ne Farb­ton des Wal­des ver­lieh mir den Ein­druck, ei­nen tro­pi­schen Dschun­gel zu durch­wan­dern. Tags dar­auf herrsch­te öst­lich der Kin­zig wie­der strah­len­des Son­nen­wet­ter.

In Lahr war es mir wie­der viel zu heiß, wes­halb ich die vie­le Klei­dung, die ich auf den ver­reg­ne­ten Schwarz­wald­hö­hen trug, aus­zog, im See­sack ver­stau­te und die­ser da­durch mir der­ma­ßen schwer wur­de, daſs die gro­ße Hit­ze im wald­lo­sen Schut­ter­tal mich (in mei­nem oh­ne­hin schon un­ter­ener­ge­ti­sier­ten Zu­stand) der­ma­ßen aus­brems­te, daſs ich mir ein­ge­ste­hen muſs­te, die für die gan­ze Wan­de­rung be­nö­ti­gte Zeit auch die­ses­mal un­ter­schätzt zu ha­ben und da­her per Ei­sen­bahn wei­ter­rei­ste.

Auf der Wei­ter­rei­se fiel mir ein, daſs auf ei­ner sol­chen Wild­nis­ver­pfle­gungs-Ur­laubs­wan­de­rung in noch wei­ter ent­fern­te­rem Aus­land es noch auf­wän­di­ger wä­re, noch mehr Gift­pflan­zen­bü­cher und die da­zu er­for­der­li­chen Fremd­spra­chen­bü­cher mit­zu­schlep­pen. Um die­sen Be­stand­teil des Ge­päcks künf­tig ein­spa­ren zu kön­nen, faſs­te ich den Ent­schluſs, am Ziel­ort (der ei­gens zum gründ­li­chen Ken­nen­ler­nen der In­stink­ti­ven Roh­er­näh­rung er­schaf­fen wur­de) die Zu­ver­läs­sig­keit des (lei­der nur mit na­tur­be­las­sen ro­her Nah­rung Sinn ma­chen­den) Er­näh­rungs-In­stinkts be­hut­sam und gründ­lich auf die Pro­be zu stel­len mit ei­nem der gif­tig­sten al­ler Pil­ze. Mehr da­zu auf Da­tei Nr· 8.

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